Kein Vertrauen in den Rechtsstaat – Die Angst ist zurück in Colditz: Straftäter nach Urteil auf freiem Fuß

Die Haftstrafen gegen Ralf N. und dessen Söhne sind milder als erwartet. Weihnachten und Silvester dürfen die Männer in Familie feiern – und selbst der Bürgermeister fragt sich: Wie kann das sein?

In einem Geschäft in Colditz hadert ein Mann mit sich selbst. Soll er reden über das, was derzeit viele hier bewegt? Soll er sagen, was er davon hält, dass ein berüchtigtes Trio überraschend wieder in der Stadt ist? Der Mann knetet die Hände, schaut zu Boden, sagt: „Ich will mich nicht äußern“. Und als man ihm versichert, dass das völlig in Ordnung sei, antwortet er: „Eigentlich nicht“.

Diese Vorsicht, dieser Frust begegnet einem in Colditz dieser Tage häufig, wenn man versucht, mit Menschen über einen Gerichtsprozess zu sprechen, der anders ausgegangen ist, als erwartet. Wer redet, will anonym bleiben. Denn es geht um Ralf N. und dessen beide Söhne Andreas und Uwe, die für Drogengeschäfte bekannt sind, Einschüchterung und Gewalt.

Im März dieses Jahr waren 225 Polizisten und Zollbeamte in die Kleinstadt eingerückt, hatten Wohnungen und Grundstücke der Familie N. durchsucht. Sie fanden 5,5 Kilo Crystal Meth, eine Cannabis-Plantage, Waffen und 32 000 Euro in bar. Die Beweislast schien erdrückend. Der Fall beschäftigte sogar die Landespolitik.

Doch vor einer Woche dann die Überraschung. Das Landgericht verurteilte die drei Männer zu milden Haftstrafen: Ralf N. muss vier, die Söhne jeweils drei Jahre ins Gefängnis. Weil die Verteidigung darauf verzichtete, Berufung einzulegen, und aus Sicht des Richters keine Fluchtgefahr bestand, hob er den Haftbefehl auf. Juristische Praxis. Doch mit Ralf N. und seinen Söhnen kehrte bei jenen die Angst zurück, die in den Männern eine Bedrohung sehen.

Viele erinnern sich noch daran, wie die N.s früher mit ihren Luxuskarossen durch Colditz bretterten. Ralf N. hatte Verbindungen ins rechtsextreme Milieu. Der 67-Jährige tyrannisierte in der Vergangenheit Nachbarn, verprügelte gemeinsam mit seinen Söhnen Punks, ging Polizisten an. All das ist aktenkundig. Auch den früheren Bürgermeister soll Ralf N. angegriffen haben. Wer darüber sprach, konnte selbst ins Visier geraten. Und in den Monaten nach der Razzia, da haben einige geredet.

Ralf N. hielt sich nicht an Recht und Gesetz

Nach der Urteilsverkündung rief ein aufgeregter Colditzer bei der Polizei an. Ob man schon Bescheid wisse? Seitdem hat die Polizei ihre Präsenz verstärkt. In der Stadt erzählt man sich, dass das Trio beim Griechen feiern war, mit Freunden und Familie. Keine große Party – trotzdem wird das Treffen von einigen als Machtdemonstration empfunden: „Die zeigen: Seht her, wir sind wieder da, uns kann keiner was“, so beschreibt das ein Anwohner im Gespräch. Und stimmt das nicht auch?

424 Anzeigen lagen bis zur Verhaftung gegen Ralf N. und dessen Söhne vor. Ralf N. ist mehrfach vorbestraft, im Bundeszentralregister finden sich 27 Einträge. Dazu gehören schwere Körperverletzung, wiederholtes Fahren ohne Führerschein, Trunkenheit am Steuer, Hausfriedensbruch. N. scherte sich jahrelang nicht um Recht und Gesetz, bekam aber trotzdem immer nur Bewährungsstrafen.

Im Frühjahr 2023, so schien es, war den Behörden endlich der große Schlag gelungen. Der Prozess sollte Aufklärung bringen, bot aber auch eine Chance: Nämlich das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder herzustellen, das in den vergangenen Jahren verloren gegangen war.

Bürgermeister über Ermittlungen: „Wie kann das sein?“

Als der Prozess im September begann, da erschien Ralf N. vor Gericht so, wie man ihn nicht kannte: Zusammengesunken saß er auf der Anklagebank, sprach leise. Doch mit jedem weiteren Verhandlungstag stieg die Laune. Denn die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, das in der Anklageschrift gezeichnete Bild der drei Männer als bewaffnete Drogenbande, hielt vor Gericht wegen fehlender Beweise nicht stand.

Dazu kam das, was der Vorsitzende Richter als „gravierende Mängel“ im Ermittlungsverfahren bezeichnete: Ein falsch ausgestellter Durchsuchungsbeschluss, fehlende Zeugen, Verstöße der Zollfahnder bei den vorläufigen Festnahmen. Uwe N. wurde nackt fixiert, was der Richter als besonders entwürdigend gerügt hatte. Das Ergebnis: Sehr viel mildere Haftstrafen als ursprünglich erwartet.

Das Misstrauen in den Rechtsstaat bleibt

Robert Zillmann, Oberbürgermeister von Colditz, will das Urteil nicht im Detail kommentieren. Doch mit Blick auf das schlampige Vorgehen der Ermittler spricht er bei einem Telefongespräch aus, was einige in der Stadt denken: „Wie kann das sein?“ Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat auf Anfrage angekündigt, mögliche Fehler, zum „Gegenstand einer kritischen Auswertung“ zu machen. Was genau das bedeutet, wer weiß das schon. Es spielt für die Menschen in Colditz keine Rolle, sie müssen nun mit den Folgen leben.

Ralf N. und seine Söhne dürfen Weihnachten und Silvester mit der Familie feiern – sie sind auf freiem Fuß, zumindest bis Haftantritt. Der hängt davon ab, wie schnell das Landgericht Akten übermittelt, die Staatsanwaltschaft den Termin festlegt. Und selbst wenn die Männer im Gefängnis sitzen, dann sind noch jene da, die sie als „feine Kerle“ bezeichnen, das Vorgehen der Behörden „unter aller Sau“ finden. Bei denen, die Angst haben, bleiben die Erinnerungen an die Farbbombe, die vor der Tür eines Pensionsbesitzers stand, nachdem er sich kritisch über Uwe N. geäußert hatte. Es bleibt das Misstrauen in den Rechtsstaat.